Das Volk sitzt zu Gericht
Österreichische Justiz und NS-Verbrechen am Beispiel der Engerau-Prozesse 1945–1954
Author(s)
Kuretsidis-Haider, Claudia
Collection
Austrian Science Fund (FWF)Language
GermanAbstract
From December 1944 until the end of March 1945, there existed a forced labour camp for Hungarian Jews in Engerau (today town district Petrzalka of the Slovakian capital Bratislava), which war part of the "Reich Defense Line" ("Wüdostwall"). There, more than 2000 Hungarian Jews had to work like slaves, digging up entrechments to "defend" the German Reich against the approaching soviet troops.
Approximate 400 of the forced labourers died of exhaustion, deseases or were beaten to death by Viennese SA men.
During the last days of WW II the camp was evacuated. A spezial detachment shot those were sic kor unfit to march, others were killed while the following footmarch to Bad Deutsch-Altenburg. Destination was the concentratio camp of Mauthausen.
Those abominable crimes caused a series of legal proceedings in post war Austria against more than 70 accused - the so called "Engerau-trias". In five main trials between 1945 and 1954 against 21 defendants the Vienna "Peoples Court" - a spezial court with the task to punish nazi-crimes - imposed 9 death sentences and 1 life imprisonment.
The publication analyzes the legal actions of this spezial court on the basis of the trial records located in the district court in Vienna, puts the proceedings in the lager context of the coping with the Nazi past by Austrian courts, but also in Austrian society, presents biographies of judges, attorneys and counsels of the trials, describes the coverage in the newspapers and gives attention to the gender-aspect and the reflection of the "Engerau-trials" in historiography.
This is the first publication, which gives a systematic overview of the first ten years of the 2nd republic focussing post war judiciary in the soviet occupation zone and the archievements of Austrian judiciary in respect to punishing nazi-crimes on the basis of the most extensive Holocaust proceeding in Austria. Zwischen Dezember 1944 und Ende März 1945 mussten ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter in Niederdonau im Zuge des Südostwallbaues zur "Verteidigung" des Deutschen Reiches gegen die herannahende sowjetische Armee u.a. in Engerau (heute: Petrzalka / Bratislava) Sklavenarbeit in Form von Schanzarbeiten leisten. Von den ca. 2000 Gefangenen starb eine große Anzahl an Unterernährung, Krankheit oder an den Misshandlungen und anderen Gewalttaten der Mitglieder der Wiener SA-Wachmannschaft. In den letzten Kriegstagen wurde das Lager evakuiert und die "nicht mehr marschfähigen" Juden von einem "Sonderkommando" erschossen oder erschlagen. Auch während des anschließenden "Todesmarsches" nach Bad Deutsch-Altenburg kamen unzählige Häftlinge infolge Erschöpfung bzw. Gewaltanwendung ums Leben. Ziel war das Konzentrationslager Mauthausen.
Diese Verbrechen zogen zwischen 1945 und 1954 gerichtliche Ermittlungen der österreichischen Justiz gegen mehr als 70 Beschuldigte in sechs großen Prozessen nach sich. Die Ahndung von NS-Verbrechen oblag in den ersten zehn Jahren der 2. Republik den so genannten Volksgerichten, das waren eigens eingerichtete Gerichte auf der Grundlage zweier eigens für diesen Zweck erlassenen Gesetze sowie der österreichischen Strafprozessordnung.
Der Hauptaugenmerk der rechts- und zeitgeschichtlichen Arbeit ist die Analyse der praktischen Tätigkeit des Volksgerichts Wien - des größten Standortes der österreichischen Volksgerichtsbarkeit, vor dem mehr als 50.000,-- Verfahren wegen NS-Verbrechen und Hochverrats geführt wurden.
Grundlage bilden die über 8.000 Seiten umfassenden - für die wissenschaftliche Forschung zugänglichen - Gerichtsakten in der Strafsache Engerau, die sich über fast den gesamten Zeitraum des Bestehens der österreichischen Volksgerichtsbarkeit erstreckte, weshalb sie repräsentativ ist für eine Einschätzung der Leistungen der österreichischen Justiz bis 1955 im Umgang mit der Ahndung von NS-Verbrechen. Die sechs Engerau-Prozesse wurden gegen 21 Personen geführt, neun von ihnen wurden in fünf Hauptverhandlungen zum Tode verurteilt, das waren 21 % aller Höchsturteile der österreichischen Volksgerichte. Es handelt sich somit um das größte Holocaust-Verfahren in Österreich. Darüber hinaus wird der justizielle Umgang mit den NS-Verbrechen vo 1955 mit jener nach dem Abzug der Besatzungsmächte aus Österreich verglichen, die Methodik beim Umgang mit Gerichtsakten erläutert, Biographien von Vertretern des mit der Strafsache Engerau beschäftigten Justizpersonals und der Verteidiger recherchiert, der Gender-Aspekt beleuchtet sowie auf das öffentliche Echo und der Niederschlag in der Historiographie eingegangen.
Die Publikation bietet erstmals einen Überblick über die Ahndung von NS-Verbrechen in der sowjetischen Besatzungszone, die Leistungen der österreichischen Justiz in den ersten Nachkriegsjahren und stellt somit einen Beitrag zur jüngeren österreichischen Justizgeschichte dar, die die Tätigkeit der österreichischen Volksgerichte insgesamt und ihren Beitrag zur Ahndung von Holocaustverbrechen bislang nicht ausreichend gewürdigt hat.