Die Wiener Free-Jazz-Avantgarde: Revolution im Hinterzimmer
Author(s)
Felber, Andreas
Collection
Austrian Science Fund (FWF)Language
GermanAbstract
There are some strange stories heard in Viennese jazz scene. Already in the second half of the 1950s, two art students, who were in touch with painters like Arnulf Rainer, Friedensreich Hundertwasser and Ernst Fuchs, experimented with free improvisation – years before this music had a name even in the country of its origin, in the USA. Already in 1961, they did their first official concert – which might be not only the first Austrian free jazz concert, but one of the first performances of this music in whole Europe. While running an own gallery between 1959 and 1965 and hosting the whole Viennese art scene, they continued to develop their music. It wasn’t until 1966 that they had their first Viennese concert as “Masters of Unorthodox Jazz” (MoUJ), and, finally, the year 1969 brought a (modest) breaktrough with a scandalized appearance at the Austrian jazz festival at Vienna Konzerthaus and the release of their first record “Overground” – with cover art by Arnulf Rainer. The art scene remained the main audience until the end of the MoUJ in 1975: There were concerts at the Viennese “Museum of 20th century”, there was a second record with a provocative cover by Franz Ringel. Composers like Kurt Schwertsik and Otto M. Zykan showed interest in this unique free improvised music, Austria’s most famous photographer Franz Hubmann took photos, avantgarde filmmaker Kurt Kren used parts of his MoUJ concert-films for his experimental works.
Another group, the “Reform Art Unit” (RAU) led by multi-instrumentalist Fritz Novotny until today, took over the torch. They came out of another non-music scene: the so-called “Freundeskreis” (circle of friends) around writer Rolf Schwendter. Partly in touch with the MoUJ, the RAU developed a completely different style of free improvisation, on the one hand inspired by contemporary Austrian composers (Giselher Smekal, Günther Rabl, Mia Zabelka), on the other hand by oriental music: The debut “Darjeeling” (1970) was recorded with Indian sitar player Ram Chandra Mistry. In later years they became aware of their personal connections to twelve-tone composer Josef Matthias Hauer, filling the term of “Viennese school of improvised music” with sonic contents.
This work tries to point out the historic chronology of these two groundbreaking but internationally little known groups a) within the context of Austrian jazz history and b) within the context of European free jazz, which is called the movement of double liberation, due to the fact that many improvisers of the Old World for the first time stopped imitating American musicians and became aware of their own cultural roots. So this book reveals an unusual perspective on Austrian cultural history after 1945. Seltsame Kauze sollen das gewesen sein. Und ebenso bizarr wie spannend ist vieles, was über sie an Gerüchten und Geschichten kursiert. Zwei sollen Kunststudenten gewesen sein, ein anderer Jazzbassist, wieder ein anderer klassischer Fagottist im Grazer Philharmonischen Orchester. Nebenbei sollen sie schon in den 50er-Jahren frei improvisierten Jazz gespielt haben, wie er anderswo in Europa erst wesentlich später praktiziert wurde - der konservativen österreichischen Musikszene zum Trotz. Dementsprechend hört man von Skandalen, die auf der Tagesordnung gestanden sein sollen. Offenbar auch, weil sich das Anders-Sein der jungen Männer, um die es hier geht, in ihrer Konvertierung zum Islam und später zur Baha'i-Religion manifestierte, was sie in so exotisch-kriegerischen Namen wie Harun Ghulam Barabbas oder Richard Ahmad Pechoc zur Schau trugen.
Anekdoten- und mythenumrankt sind die Berichte, die man aus der Frühzeit der Wiener Free-Jazz-Avantgarde vernimmt, die sich im Wesentlichen auf die beiden Formationen der "Masters of Unorthodox Jazz" (MoUJ) und der "Reform Art Unit" (RAU) reduzieren lässt. Je stärker das retrospektive Bild durch Musiker-Garn, Fehlinformation und Datenmangel verunklart wird, desto sensationslüsterner und phantasievoller blühen Spekulationen und Mutmaßungen über jene erstaunlicherweise nicht einmal besonders weit zurück liegenden Jahre. "Der Schrecklichste der Schrecken" titelte etwa 1992 ein Artikel in einer Wiener Kultur-Zeitschrift, in dem Walter Muhammad Malli, das einzige heute noch als Musiker aktive Mitglied der MoUJ, kurz vor der Premiere von Peter Zachs ihm gewidmeten Film-Porträt abgehandelt wurde. Das mit MoUJ und RAU assoziierte Geschichtsbild oszilliert heute zwischen als Topoi zu bezeichnenden Klischeevorstellungen: jener der skurrilen Provokateure, der Scharlatanerie verdächtigen Dilettanten einerseits, sowie der der verkannten, isolierten Avantgardisten, die internationale Entwicklungen antizipierten. Die vorliegende Arbeit bringt Licht in dieses bislang gänzlich unaufgearbeitete Kapitel österreichischer Musikgeschichte. Und wirft in der grundlegenden, kritischen Darstellung der chronologischen Ereignisabfolge über den primären Gegenstand hinaus Schlaglichter auf die österreichische, insbesondere die Wiener Nachkriegskunstszene.
Die Chronologie setzt Mitte der 50er Jahre an, als zwei junge Kunststudenten, Schüler sowohl von Carl Unger an der "Angewandten" als auch von Albert Paris Gütersloh an der Akademie der bildenden Künste, ihre gemeinsame Begeisterung für den Jazz entdecken und vorerst ausschließlich im privaten Kämmerlein zu experimentieren beginnen. Künstler-Lokale wie die "Adebar" und des Café Havelka sind Stamm-Domizile der heranreifenden Maler und Zeichner, die sich u. a. als Assistenten von Arnulf Rainer und Friedensreich Hundertwasser verdingen sowie von Ernst Fuchs gefördert werden, darüber hinaus in flüchtigen Kontakt mit den Exponenten der "Wiener Gruppe" kommen (und so Zeugen des 2. "Literarischen Cabarets" 1959 werden). 1959 eröffnen die beiden, kaum 20-jährig, in Wien-Landstraße ihre eigene "Galerie zum Roten Apfel", in der bis 1965 die gesamte Wiener Szeneprominenz ein und aus geht, und in der neben eigenen Werken jene von Martha Jungwirth, Jürgen Leskowa, Hermann Painitz, Othmar Zechyr, einmal auch von Hermann Nitsch u.v.a. ausgestellt werden. Währenddessen dient die Galerie auch als Zentrum für die kontinuierlich weiter betriebenen musikalischen Versuche. Deren erste öffentliche Präsentation bezeichnenderweise nicht in Wien, sondern im neu gegründeten Grazer Forum Stadtpark stattfindet und auch dort nur wütende Pfiffe von Seiten des Publikums erntet. Erst 1966, als die beiden Galeriebetreiber bereits Aufnahme in die Künstlervereinigung "Der Kreis" gefunden haben, können sie und ihre Mitstreiter als "Masters of Unorthodox Jazz" in Wien debütieren. Das Jahr 1969 bringt mit einem skandalumwitterten Konzert beim Amateur-Jazzfestival im Wiener Konzerthaus und dem Platten-Erstl