Phänomenale Adäquatheit und Irreduzibilität des Bewusstseins
Eine Revision des Qualia-Begriffs
Author(s)
Egeter, Edwin
Collection
Swiss National Science Foundation (SNF)Language
GermanAbstract
1. Situierung der Dissertation Die Dissertation befasst sich in allgemeiner Hinsicht mit dem so genannten «hard problem» der Philosophie des Geistes. Dieses wird als die moderne Version des schwierigsten Teils des ehemaligen Körper-Geist-Problems verstanden. Für das Vorhandensein eines hard problem bzw. gegen eine Gehirn-Geist-Identität werden drei Argumenttypen angeführt: a.) Argumente im Kontext der explanatorischen Lücke: Kontingente Korrelate von Erleben b.) Epistemische Argumente: Physikalisches Wissen als unzureichend für phänomenales Wissen c.) Modale Argumente: Funktionale Identität mit phänomenaler Divergenz In spezifischer Hinsicht geht es in der Arbeit um das Kern-Explanandum des hard problem: Das Phänomen des bewussten, subjektiven Erlebens, welches zumeist unter dem Begriff der «Qualia» diskutiert wird. 2. Inhalt und Ziel 2.1 Kritik und Revision des herkömmlichen Qualia-Begriffs Wie in der Dissertation kritisiert wird, werden Qualia meistens nur als Schemata bewusster, sensorischer Wahrnehmung diskutiert und vorwiegend mit Schmerz-Empfindungen und Sinneseindrücken in Verbindung gebracht. Das Explanandum des hard problem wird jedoch nicht erfasst, wenn verengte, im Hinblick auf die Vielfalt unseres Erlebens inadäquate Qualia-Begriffe angewendet werden. In diesem Zusammenhang werden in dieser Arbeit neue Implikationen des Qualia-Begriffes bzw. erweiterte Konzeptionen von phänomenalem Erleben erarbeitet. Die neuen Implikationen von Phänomenalität bestehen darin, dass Qualia nicht nur als einfache Schemata bewusster Wahrnehmung, sondern auch als Aspekte von Emotionen, Intentionalität und Gedanken – ja von Bewusstsein überhaupt – gesehen werden können. Das Ziel meiner Qualia-Revision besteht insofern darin, die systematische Relevanz von Qualia bzw. phänomenalem Erleben für die Philosophie des Geistes und das hard problem aufzuzeigen. Phänomenales Erleben besteht demnach nicht nur aus «essenziellen», «einfachen», unmittelbaren oder unveränderlichen Qualia mit einer wiedererkennbaren «Selbigkeit» (Dennett 1988; Metzinger 2007). So sind zum Beispiel die nach Dennett angeblich «essenziellen» Eigenschaften der Unmittelbarkeit bzw. der Infallibilität von Urteilen über (vergangene) Erlebnisse keine notwendigen Voraussetzungen für phänomenales Erleben. Weil sich derart statische und enge Qualia-Begriffe als falsch erweisen, kann man mit einer auf letztere bezogene (vermeintliche) Qualia-Kritik, wie es bspw. Dennett versucht, auch nicht aufzeigen, dass es phänomenales Erleben nicht gibt oder dass es kein Explanandum darstellt. 2.2 Kritik von Umdeutungen und Transformationen des Explanandums Ebenfalls soll die mit engen Qualia-Begriffen einhergehende Tendenz sichtbar gemacht werden, mit der Annahme von bestimmten, angeblichen Qualia-Eigenschaften, die jedoch nicht notwendigerweise Eigenschaften von Qualia sind, phänomenales Erleben in toto anzuzweifeln oder zu leugnen. In meiner Arbeit postuliere ich diesbezüglich, dass es einfacher ist, zu behaupten, dass Qualia nicht existieren, oder dass es kein hard problem gibt, wenn man dies auf der Grundlage eines besonders engen Qualia-Begriffs tut. Denn auf der Grundlage eines engen Qualia-Begriffes lässt sich dem Phänomenalen leichter ein «marginaler» (Churchland 1996), oder sogar inexistenter Status zuweisen (Dennett 1988). Phänomenale Explananda werden zudem auch auf eine der Explizierbarkeit dienliche Weise in nicht-phänomenale Explananda umgedeutet und damit identifiziert. Dabei wird aber gerade die ursprüngliche Frage des hard problem, wie objektiv feststellbare Prozesse und Funktionen subjektives Erleben erklären oder gar sein können, übergangen. Die Konsequenz davon ist, dass für die typischen Explananda des hard problem mehr oder weniger irrelevante Explanantia ausgearbeitet werden, welche – wie mit dem Argument der Erklärungslücke festgestellt wird – leider keine hinreichende Erklärung darzustellen vermögen. Auf diese Weise wird das hard in ein easy problem umgedeutet. Dies gleicht aber eher dem Wegdefinieren, als einer Lösung des hard problem. Die mit solchen Transformationen des Explanandums einhergehende nicht hinreichende Beachtung des Phänomenalen, ist der Grund dafür, dass ein solcher Approach zum hard problem an seiner phänomenalen Inadäquat scheitert, die u.a. in der impliziten Annahme besteht, dass Phänomenales durch bestimmte Prozesse, die mit Erleben korrelieren, einfach ‹irgendwie› mitgegeben ist. Doch nur, wenn die Erlebnisaspekte von Bewusstseinsphänomenen gebührend beachtet werden, das heisst, nur wenn sie in einer Theorie des Geistes als zu erklärende Phänomene «gerettet» werden (Schildknecht 2005), ist das «Desiderat phänomenaler Adäquatheit» (Stubenberg 1998) gewährleistet. 3. Ergebnisse Meine Revision legt im Zusammenhang mit der Ausweisung der Phänomenalität emotionalen Erlebens, den Erlebnisformen emotiver Aspekte der Kognition und im Rahmen von Goldies Konzeption des «feeling towards» (Goldie 2002) – bzw. den damit verbundenen qualitativen Aspekten der Intentionalität von Emotionen – und phänomenalen Aspekten nicht-emotiver Formen des Denkens dar, dass sich weder intentionale noch propositionale Gehalte eindeutig von phänomenalen Gehalten abgrenzen. Dies droht auch repräsentationalistische und intentionalistische Naturalisierungsversuche von Qualia zu unterminieren. Die Konsequenz eines erweiterten und phänomenal adäquaten Qualia-Begriffs, der auch die Phänomenalität der Intentionalität mit einschliesst, liegt demnach in einer Verschärfung des hard problem. So implizieren die dargelegte Polydimensionalität und Ubiquität phänomenalen Erlebens, bspw. bei emotiv-kognitiven Formen des Erlebens, dass die Nicht-Wiedererkennbarkeit und Nicht-Unmittelbarkeit von Qualia, nicht als Gründe dafür aufgeführt werden können, dass es kein phänomenales Erleben und somit kein hard problem gibt. Denn selbst basale Qualia-Formen sinnlichen Erlebens können durch Urteile, Situationsbewertungen und durch emotive Formen des Denkens, wie «Affektlogiken» (Ciompi 1997) oder «emotionale Gedanken» (Stocker 1987) verändert werden: dieselbe Musik, die wir gestern als beruhigend empfunden haben, kann heute für uns traurig klingen; derselbe Kaffee, den wir gestern genossen haben, kann heute, vielleicht aufgrund einer «Trauerlogik», viel bitterer schmecken. Auch wenn dies zeigt, dass Qualia nicht zwingend unmittelbar und wiedererkennbar sind, verschwindet deswegen doch nicht das Phänomen bewussten Erlebens, sondern es zeigt sich in einer polydimensionalen Form, in welcher, bspw. zusammen mit einer bestimmten Stimmung, die Musik in einer modifizierten Weise – eben trauriger als gestern – erlebt wird. Folglich sind Unmittelbarkeit und Wiedererkennbarkeit keine notwendige Bedingung für Phänomenalität. Die in der Qualia-Revision ausgewiesene enorme Vielfalt und Polydimensionalität phänomenalen Erlebens zeigt des Weiteren auf, dass wir mit einem phänomenal adäquaten Qualia-Begriff davon ausgehen müssen, dass Phänomenalität ein ubiquitäres Bewusstseinsphänomen darstellt. Daraus ergibt sich die paradoxe Situation, dass stark reduktionistische, und insbesondere eliminativistische Ansätze, Theorien des Geistes darstellen, deren Explananda kaum noch etwas mit denjenigen mentalen Phänomenen zu tun haben, die bewusste Organismen wesentlich auszeichnen. Wenn also, insbesondere im Hinblick auf die Vielfalt unseres Erlebens, inadäquate Qualia-Begriffe letztlich den Verlust des Kern-Explanandums des hard problem zur Folge haben, ist dies noch viel gravierender, als bisher von reduktionskritischer Seite moniert wurde. Die mit meiner Qualia-Revision postulierte Ubiquität von Qualia soll demnach aufzeigen, dass eine Theorie des Geistes, die mit dem hard problem überhaupt etwas zu tun haben soll, am Explanandum des Phänomenalen nicht vorbeigehen kann.